Fortsetzung eins

.. mit der einschulung begann auch die uni, ich hab das für ne gute idee gehalten, es markierte irgendwie den gemeinsamen lebensweg. mir war klar, dass ich kein examen machen würde, eine universität ist schließlich eine hochschule und kein ferienlager oder abenteuerspielplatz. die lehrer in der grundschule haben das genauso beurteilt, sie meinten ich hätte kein recht darauf, allerdings noch weniger wohlwollend, sie fanden sowieso das familienmodell alleinerziehender vater vollkommen untragbar in ihrer weltanschauung und haben aufdringlich oft nach der mutter gefragt. Was sollte ich sagen, dass sie wahrscheinlich besoffen, in jedem fall verschwunden sei, es erschien wie ein spiel mit vertauschten rollen, wieviele frauen könnten sich ähnlich beklagen, entsprechende hilfegruppen waren auch an der intelligenten uni zu der zeit noch rein feministisch und männerfeindlich. ein mann könne diese aufgabe nicht bewältigen, und mit sechsundzwanzig brauche ein mensch auch nichtmehr anfangen zu stutieren, war die feste Aussage der bürgerlichen gesellschaft, wo hätte ich denn überhaupt mein abi gemacht, ihre höhnende frage. sie kannten nichtmal den zweiten bildungsweg.

eigentlich haben so die probleme erst angefangen, ich bin natürlich an der uni geblieben, der rektor meiner oberstufe sprach offen von einer außergewöhnlichen begabung, damit war er nicht der erste und das trotz nur durchschnittlicher noten, ich musste die chance auf höhere bildung nutzen – nicht nur für mich – auch ohne aussicht auf erfolg.

tatsächlich habe ich den campus der ruhr uni gemeinsam mit verschiedenen politischen hochschulgruppen und dem asta in einen abenteuerspielplatz verwandelt. schon im zweiten jahr haben wir über den gesamten sommer auf dem nordforum gezeltet, direkt im hauptzugang vor der ub, wir haben eine ritterburg gebaut, ein piratenschiff, ein echtes floß, ein riesiges indianerzelt mit echtem tipifeuer, malen und basteln in jeder form und mit einer reichen auswahl an farben.

die lehrer in der grundschule haben vor wut geschäumt, das passte nicht in ihr konservatives familienbild. ein kind mit solchen möglichkeiten und mit einer solchen freiheit! mein kind war jeden tag gerne in der schule, zeigte eine auffallende lernbereitschaft und selbständigkeit, ja ein überaus srarkes persönlichkeitsbild. die anderen eltern waren zum teil schockiert, zum teil auch begeistert. es hieß regulierend an der universität gebe es kein geeignetes umfeld für kinder, das war wohl richtig, aber die kinder aus dem unicenter oder der hustadt haben sich daraus genausowenig gemacht. es hieß das kind habe keine richtige mutter und kaum eine weibliche bezugsperson, auch das war richtig, ich hatte zwei bis drei feste freundinnen und dazu reichlich lose romantische kontakte. wir standen im zentrum der aufmerksamkeit, das jugendamt meldete sich per brief an

familie tritus, zeltdorf auf dem nordforum, ruhr universität bochum.

es schien alles in ordnung, es gab nichts zu beanstanden.

indessen ließ das konservative bürgertum soetwas nicht auf sich sitzen, sie verstärkten ihre bemühungen das kind zu beeinflussen, es begann wieder regelmäßig nach seiner mutter zu fragen, mich offen anzuzweifeln und sich mir schon in kleinsten dingen aus überzeugung zu widersetzen. es berichtete, es werde für seinen bisher bevorzugten kleidungsstil und die von kindlicher hand geschnittenen haare von den lehrern gemobbt und wünschte sich ein akzeptierteres Leben. es sagte voller überzeugung ein kind dürfe sich die kleidung nicht selbst gestalten und müsse von der mutter angezogen werden. ich hatte bald keine ahnung mehr, wie ich das schaffen sollte, wir waren natürlich auch arm, das heißt wir hatten immer wenig geld, es gab um kleinigkeiten regelmäßig streit, ich hatte bald vollkommen das vertraute verhältnis zu meinem kind verloren, und als ich in meiner not angefangen hatte zu erklären und zu erzählen, was sich in den ersten jahren mit der mutter tatsächlich zugetragen hatte, war es mit dem kindlichen vertrauen und dem häuslichen frieden ganz vorbei, es gab jetzt jeden tag proteste, alles was ich sagte war falsch, alles was ich anordnete wurde verweigert, die mutter musste es sagen, das kind zeigte einen geradezu bewundernswerten widerstand, ich bewunderte dessen kampfgeist und charakter und begann nun diesen zu fördern. ich suchte inzwischen verzweifelt nach pädagogischer hilfe bei einzelnen eltern und beim jugendamt, ich suchte intensiv nach der mutter, ich verlangte das auffinden der mutter, alles ohne jeden erfolg.

dann stand sie auf einmal da, sie wusste nichts von dem, wie in den letzten jahren unser leben war und hat auch nicht ein einziges mal gefragt.

sie wusste nichtmal, dass wir seit monaten echte probleme hatten und ihre Unterstützung – für uns – dringend nötig war.

sie brauchte ihr kind für ein erfolgreiches methadonprogramm in therapie, als alternative zu haft, sie hatte als mutter selbstverständlich immernoch das volle sorgerecht. die lehrer feierten ihren kleinen erfolg, endlich würde alles in geregelten bahnen laufen und seine ordnung haben.

mutter und kind waren nach wenigen wochen spurlos verschwunden, das methadonprogramm ist – wie ich erst viel später erfahren habe – schon in den ersten monaten gescheitert, nach kaum einem jahr kam das kind in pflege zu meinem vater, der seit meiner jugend nichtmehr mit mir geredet hat, der mich noch immer verachtete, und mir blieb jeder kontakt, jede entschuldigung für diese schwierige kindheit verwehrt.

der folgende sommer war geprägt von skandalen, ich wohnte im haus einer deutschen burschenschaft, war gleichzeitig für solidarität und freie bildung in linken hochschulgruppen engagiert, studierte intensiv an der theologischen fakultät, hatte meinen ersten aufenthalt in einer psychiatrischen klinik, unternahm die floßfahrt allein und kam in die westdeutsche zeitung mit einem bericht über bildung und moral. inzwischen hielten hochschulgruppen das querforum besetzt, ich hatte ausgedehnte romantische beziehungen zu einer jungen priesterin, zu verheirateten frauen, zu zwillingen und verschwand ende des jahres mit einer jungen studentin auf den campus der gutenberg uni nach mainz.