Teil3

Als ich zurück in Bochum war, fühlte ich mich schon über die Universität hinausgewachsen, obwohl ich immernoch kein examen bestanden hatte, kam mir alles eitel und kleinlich vor. die Bewegung für freie bildung war größtenteils bedeutungslos geworden, allgemeine studiengebühren wahren vorerst fest etabliert. ich diskutierte ohne status mit den wissenschaftlichen mitarbeitern und unternahm spaziergänge mit meinem mentor von der evangelischen fakultät, die bald zu nichts weiter führten als zerstreuung und angeregter unterhaltung.

so passierte einige jahre nichts, ich verkaufte bücher, druckte und band wissenschaftliche arbeiten der zahlungsfähigen studierenden und hatte der sinnlosigkeit meines daseins nicht viel mehr abzugewinnen als eine feste freundin.

irgendwann auf bochum total begegneten mir ein paar junge punks und damit begann das neue zeitalter.

ich wurde teil einer ganzen jugendkultur, lernte neue klamotten zu tragen, skateboardfahren, entdeckte graffiti, musik, eine zeitgemäße sprache, eine girarre zu halten, und ich kam auf die ersten festivals. in der folge wurden auch bochum total, essen original, olgas rock, das nord openair uvm zu echten ereignissen, wie sie es nie zuvor waren, und wie sie auch danach nurnoch in ihrem eigenen schatten standen. wir hatten das in der richtigen zeit zu diesem erfolg gebracht, darin besteht kaum ein zweifel. ich kannte über hundert jugendliche in bochum persönlich, hatte über tausend links bei facebook und nicht eine einzige richtige freundin. den frauen im passenden alter war dieser lebensstil zu intensiv, den ich weder ablegen wollte noch konnte. ich beherbergte von anfang an obdachlose und runaways, die immer leute mitbrachten, und es gab niemals ruhe oder im ansatz privatsphäre. zu manchen zeiten hab ich bis zu fünf leute in meinem einzigen zimmer untergebracht und von meinem harz vi miternährt. gut zwanzig waren regelmäßig da, es wurde gestapelt, wer raus oder rein wollte, musste klettern. es gab jeden tag spaghetti mit viel öl und tomate, alle fraßen wir aus dem topf mit den bloßen händen, und alle wurden satt – was fehlte wurde geschnorrt. aber etwas ganz entscheidendes, das mir fehlte, war nirgendwo auszumachen. ich war inmitten der generation meiner kinder, war überall bekannt und fand nicht die leiseste spur von dem lebenden kind, das mein eigenes war.

als mir wiedermal klar wurde, wie sinnlos alles wurde, wurde auch die gruppe deutlich kleiner, wir haben eigentlich nurnoch mit dem harten kern einer hand voll leute gesoffen, irgendwann hab ich mich in dieser saufgruppe in ein mädchen verguckt – und als wir dann zusammen waren, sie war tatsächlich gerade eben volljährig, hatte ich nach ewigkeiten das erste mal wieder eine freundin.

und wie man so schön sagt, mit der großen liebe fangen die großen probleme an. sie war eine der attraktivsten jungen frauen weit und breit, zumindest in der szene unserer partytouren, und niemand pflegte seinen partner zu heiraten, also warteten alle darauf, dass diese beziehung irgendwann – sehr bald zu ende war, um selbst einmal eine chance zu bekommen, was über mehrere jahre nicht geschah. wir hatten zwar öfter mal ne meinungsverschiedenheit, so wie alle paare, und das grauenhafte für alle, wir waren ein paar.

eigentlich überhauptkein problem. ihre anziehungskraft war so groß, dass es ständig leute gab, die irgendwas wollten, und wir natürlich auch gerne mal alleine sein wollten. ich hab schon vorher aufgehört leute zu beherbergen, hab immernoch einige bei mir schlafen lassen. sie wohnte schließlich allein bei mir, das hat mir völlig gereicht.

so oder so gab es genügend bewerber auf beiden seiten, nur dass die frauen meist ehrlich waren und sich nie aufdrängten, weil sie an mir hing, und das irgendwann jedem klar war. von anderer seite, war das nicht so einfach, ich wurde gerne mal ein bisschen schlecht gemacht, hintergangen, abgehängt – nur dass sie niemals lange von mir zu trennen war, selbst wenn wir mal ne kriese hatten, und es ernsthafte hoffnungen gab. sie machte gern party und lernte sehr gern neue leute kennen, aber männer – frauen lasst alle hoffnung fahren, solange wir zusammen waren, konnte niemand sie gewinnen, und sie ihrerseits verjagte alle, die mir je schöne augen machten mit feurigem ehrgeiz und mit großem erfolg.

am ende war ich dann immer alleine zu hause und sie totunglücklich auf jeder party nurnoch besoffen.

ich hab zwar auch wieder leute bei mir wohnen zu lassen, aber mir waren sie eigentlich egal, ich betrachtete sie weder als meine freunde noch als meine familie, was ich beides längst verloren hatte. sie haben sich wie schweine benommen, machten sinnlosen lärm, unnötigen dreck, teilten weder essen noch tabak und aßen anstatt aus dem topf von tellern und mit besteck. als ich dafür aus meinem zimmer geflogen bin, weil sie auch noch in den gemeinschaftsräumen randalieren mussten, hab ich den umzug alleine gemacht und hatte hinterher in einer neuen – richtigen wohnung wieder zwei oder drei von ihnen vor der tür stehen.

ich bin abgehauen, hab ihnen offiziell meine wohnung und meinen gesamten besitz überlassen, sie haben mir dafür noch ordentlich mietschulden verursacht meine sachen entweder kaputt gemacht oder verkauft. mir war das egal, ich wollte alles hinter mir lassen, was mir unmöglich gelang.

ich war zweimal mit einer großen liebe gescheitert, meine beiden kinder sind tot und verschollen, der rest der mir bekannten familie ist in meinen augen abschaum. ich hab auf all den reisen meine väterliche cousine mal besucht, ihre größte sorge war, ich könnte nach geld fragen, sie ist mir beiläufig begegnet, hat mit ihren rechtsradikalen kindern so getan als würde sie nicht im haus der familie wohnen, ein haus, das sowieso niemals eine heimat für mich war. der gedanke, ich wollte sie einfach mal sehen, ist ihr garnicht gekommen. der kontakt oder zumindest regelmäßiger umgang mit der familie meiner mutter, wurde mir von frühester kindheit vom patriarchen verboten. er sagte diese menschen seien minderwertig weil zum teil schauspieler und künstler, gebildete leute, die mich in meiner entwicklung störten. ich habe also keine ahnung wo, ob und wie sie leben.

der folgende teil der geschichte – bis heute fängt mit diesem blog an, aber was ich niemals gesagt habe, ihr könnt dankbar sein, dass eure kinder bei mir nicht auf crack an der straße standen, sondern – wenn sie dazu in der lage waren, etwas wirklich gutes lernen konnten, auch wenn ich wie immer versagt habe.