es heißt ja, es sei ein essen für arme leute, wobei mir nicht ganz klar ist, was arm in diesem kontext bedeutet.
der aufwand für mich ist schon so mittelmäßig hoch, dass ich nicht jeden tag sowas zubereiten könnte ohne arm zu werden, was bedeutet, vielleicht ist es ja ein festessen für in armut lebende menschen.
historische zeugnisse geben an, dass der heringsstip im verhältnis zur gebratenen gans in vorwurfsvollen jamben (spottversen) verwendung findet, um den unterschied zwischen arbeitern und so genannten herrschern zu verdeutlichen, die sich keineswegs für fremde ziele verausgaben müssen, ihre gesundheit, ihr wohlergehen und ihr leben opfern für die dekadente lebensart minderwertiger individuen, welche sich unverhältnismäßig höher schätzen als sie sind, ja zum teil gottähnlich wähnen, obwohl schon selbst durch ihre enormen privilegien selbstverständlich zu nichts wirklich nennenswertem in ihrem dasein kommen, sosehr sie sich auch anstrengen mögen, was ja die wenigsten tun, da sie ja auch fett und hässlich, dumm und feige prinzessin oder lord heißen mit dem recht ihrer geburt.
also gut, der arme mensch in einem anderen teil der erde als europa könnte sich glücklich schätzen, wenn anstatt des hungertodes der hering mit seinem mageren schwanz einer doch ganz angenehmen lebensart winkt, in der relativ zum lord.. arme leute immerhin auch gebratene gans essen können ohne sich dafür vollständig verausgaben zu müssen.
vielleicht ist aber auch eine art geistige armut gemeint, wo doch dieses gericht besonders geeignet für kinder scheint, die stark gesalzenes oder auch scharf gewürztes nicht so gut vertragen wie jugendliche oder erwachsene, die durch schulbildung und erfahrung geistig reicher sind, und denen ein salzhering kaum etwas ausmachen würde, wenn sowas menschen in europa heute überhaupt noch wirklich essen.. müssen.
es erinnert mich an die soljanka, die ich einmal verstanden habe als suppe aus salzig und sauer eingelegtem, doch sind hier frische milch, früchte und sahne eher noch ein zeichen für wohlstand als für die notwendigkeit konserven genießbar zu machen.
man könnte sagen pasta mit lachssauce wäre ein arme leute essen, weil es ja all das bei aldi gibt.
inzwischen ist der salzhering in seiner ursprünglichen form nichtmehr in den supermärkten anzutreffen, was eindeutig daran liegt, dass er unmöglich gewinnbringend vermarktet werden konnte. er ist viel milder und dadurch auch weniger haltbar, lässt sich aber auch so zwischendurch mal genießen wogegen es überwindung kostete einen wirklich gesalzenen hering überhaupt nur zu essen.
das problem mit sauer eingelegtem hering ist nich ganz so schlimm, der schmeckt aber meiner meinung nach erstrecht beschissen, selbst wenn er sich nicht gleich im magen verdreht.
wohlhabende adelige würden auf jeden fall männliche matjes nehmen, die kurz vor der laichzeit gefangen wurden, aus der heringsmilch (hoden mit sperma) eine cremige sauce machen, mit süßen äpfeln, pfeffer, lorbeer und zwiebeln die fischfilets marinieren und mit dampfenden kartoffeln auf den tisch bringen als ein saisonales alltagsessen, das vielleicht noch kräuter wie dill und petersilie verwendet.
und so sehe ich deutlich, wie sich eine sehr beliebte variante abspaltet, denn hierfür können nur ausschließlich männliche tiere verwendet werden, es gibt aber eben auch sehr viele weibliche heringe, und im übrigen werden fische natürlich nicht kurz vor dem ablaichen gefangen.
[nachtrag: es heißt eigentlich nur im winter, aber die nachfrage besteht das ganze jahr, deshalb gehe ich mal unwissend davon aus, dass heringe das ganze jahr über gefangen werden.]
der gewöhnliche matjes wird also gut gereift und mit einer sahnesauce angemacht, auch hier wieder mit den übrigen zutaten serviert als ein richtig guter happen.
naja.. der salzhering überwindet oft weite strecken zu anderen orten und in andere jahreszeiten, und hier dient das marinieren nicht so sehr dem würzen und zart machen des frisch gefangenen heringsfleisches und ist der sahnedip auch nicht einfach eine glänzende beilage, hier wird dem heringsfilet im milchbad erstmal so viel wie möglich salz entzogen, wodurch es wieder mild wird als wäre es gerade erst aus dem fang gekommen. dabei kommen in die marinade noch zwiebeln, die wie in der frischen variante das filet zart machen, äpfel, die ihm eine erfischend süße note verleihen und gewürzgurken als ein kleines verwandtschaftsverhältnis zum eingelegten, was auch hilft die milch ein kleines bisschen dicker zu machen.
das muss jetzt mehrere stunden, vll einen ganzen tag ziehen, bevor dazu noch saure sahne kommt um das ganze etwas feiner zu machen und die sauce anzudicken.
[nachtrag: ich wollte es erst verschweigen, aber die arg versalzene milch wird tatsächlich ein paar minuten vor dem servieren zu einem großen teil durch saure sahne mit ein wenig pfeffer ersetzt, sodass sie wirklich nur die grundlage bildet, was mit der restlichen milch passiert, ist hoffentlich kein frevel.]
es ist also ganz einfach, wenn man erstmal das prinzip verstanden hat, was ja aus unserer perspektive nicht immer leicht fällt, wie sich eine deartige lebensart nicht mit wirklicher armut vergleichen lässt.
im supermarkt finden wir vor allem die sauer eingelegten bismarkheringe als basis für sahnefisch, das finde ich jetzt schon manchmal ziemlich abartig, weil das sauer einlegen die eiweißstruktur der fische verändert und das dann mit der milch nichtmer wirklich gut bekommt, allerdings wird hier die sauce sehr schnell viel dicker, wo man im anderen fall mit dem gurkenwasser ein bisschen nachhelfen kann, der saure hering bleibt in der sahne ja auch ungesalzen haltbar.
was unbedingt wichtig bleibt, wie ja klar ist, löst sich natürliches eiweiß sehr leicht in wasser und wird erst bei größerer hitze fest oder verändert durch säure, deshalb bringt es kaum einen vorteil einen gesalzenen hering zu wässern, weil mit dem salz gleichzeitig viele wertvolle nährstoffe ausgewaschen werden. außerdem sind salzheringe oft noch zusätzlich in öl gebadet, was ein wässern relativ unmöglich macht.
milch ist schon eine emulsion aus zucker, fett, eiweiß und wasser, die abgesehn vom salz relativ gesättigt ist, deshalb eignet sie sich besser, und milch wird normalerweise nicht einfach weggeschüttet wie wasser sondern bildet die grundlage einer kalten sauce für dampfend heiße kartoffeln, weshalb nährstoffe die sich mit dem salz in der milch lösen nicht verloren gehen sollten.
es heißt anstatt für arme leute würde dieses.. doch wirklich sehr gehaltvolle mahl als fastenspeise dienen, vielleicht ist die bezeichnung arme leute essen noch eine zusätzliche rechtfertigung für die überaus nahrhaften fastenspeisen aus fettem fisch und dicker sahne mit ungeschälten und daher besonders hochwertigen kartoffeln.
einen kräftigen wein braucht man dazu kaum zu probieren so ist das als fastenspeise immerhin ein mahl, das der kultivierte mensch ohne alkohol genießen kann.